Plattformarbeit, bestehender Rechtsrahmen und mögliche Lösungen für die Zukunft

HR Today

Die Digitalisierung und die Globalisierung verändern die Arbeitswelt. Arbeitsleistungen werden zeitlich, örtlich und organisatorisch immer flexibler. Seit der Covid-19-Pandemie hat die Arbeit im Homeoffice erheblich zugenommen, und die jüngere Generation äussert zunehmend den Wunsch, flexibler zu arbeiten. Daraus ergibt sich eine zentrale Frage: Sind Personen, die flexibel arbeiten – insbesondere auf Plattformen – ausreichend geschützt, und wie kann ein angemessener Schutz gewährleistet werden?

Die Realität der Plattformarbeit

Plattformarbeit ist eine Form der Arbeit, bei der Unternehmen oder Einzelpersonen über eine Online-Plattform miteinander in Kontakt treten, um gegen Bezahlung spezifische Probleme zu lösen oder bestimmte Dienstleistungen zu erbringen. In der EU arbeiten mehr als 28 Millionen Menschen über eine oder mehrere dieser digitalen Plattformen, und bis 2025 dürften es sogar 43 Millionen sein. In der Schweiz sind zwar keine aktuellen Zahlen verfügbar, doch laut BFS arbeiteten im Jahr 2018 bereits 0,4 Prozent der Bevölkerung auf Online-Plattformen. Diese Arbeitsform gewinnt zunehmend an Bedeutung.

Personen, die über digitale Plattformen arbeiten, verrichten verschiedene Aufgaben, sowohl vor Ort als auch remote, wie z. B. Lieferdienste, Übersetzungen, Dateneingabe, Kinderbetreuung, Pflege von älteren Menschen oder Taxidienste.

Die Erfahrungen aus der Covid-19-Pandemie haben gezeigt, dass die Plattformarbeit sowohl Vor- als auch Nachteile mit sich bringt, unabhängig vom Status der Arbeitnehmenden innerhalb der verschiedenen Geschäftsmodelle. Während der teilweisen Lockdowns schätzten die Konsumentinnen und Konsumenten die Flexibilität des Online-Handels, wodurch die Plattformarbeit, welche die Lieferung von Online-Einkäufen sicherstellte, einen Schub erhielt. Die Pandemie hat jedoch auch die wirtschaftliche und soziale Instabilität bestimmter Gruppen von Selbstständigen und die unzureichende soziale Absicherung einiger Arbeitsplätze aufgezeigt.

Aktueller Rechtsrahmen

Das Arbeitsrecht beruht in der Schweiz hauptsächlich auf dem Obligationenrecht (OR) und dem Arbeitsgesetz (ArG). Diese Gesetzestexte regeln die Beziehungen zwischen Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden. Sie gelten jedoch nicht direkt für Plattformarbeitende, die oft – manchmal fälschlicherweise – als Selbstständige eingestuft werden. Diese Unterscheidung ist mit mehreren Herausforderungen verbunden.

Als selbstständig eingestufte Plattformarbeitende verfügen sie nicht über den gleichen Schutz wie herkömmliche Arbeitnehmende, welche zum Beispiel. von der Arbeitslosenversicherung, bezahlten Ferien oder der Unfalldeckung profitieren können. Ausserdem ist ihre rechtliche Einstufung unklar. Sind sie selbstständig oder verkappte Angestellte? Diese Frage ist von zentraler Bedeutung, um die Rechte und Pflichten der Parteien zu bestimmen. Letztendlich verstehen sich digitale Plattformen häufig als blosse Vermittler und entziehen sich so der Verantwortung eines traditionellen Arbeitgebenden.

Herausforderungen des aktuellen Rahmens

Der aktuelle Rechtsrahmen weist mehrere Lücken auf, die besonders zu beachten sind:
Zunächst einmal führt die von den Plattformen gebotene Flexibilität manchmal zu einer erhöhten Unsicherheit für die Arbeitnehmenden, da sie zwar als Selbstständige gelten, aber weder über ein stabiles Einkommen noch über einen angemessenen Sozialversicherungsschutz verfügen. Dies hat zur Folge, dass traditionelle Arbeitgebende, die strengen Regulierungen unterliegen, gegenüber digitalen Plattformen, die unter weniger strengen Rahmenbedingungen agieren, im Nachteil sein können. Durch die fragmentierte Einkommensstruktur von Plattformarbeitenden wird zudem die Erhebung von Sozialversicherungsbeiträgen erschwert.

Lösungen für die Zukunft und die Rolle der Temporärarbeit

Zur Bewältigung dieser Herausforderungen können mehrere Ansätze in Betracht gezogen werden: 

Zunächst einmal muss der Status von Plattformarbeitenden klar definiert werden, damit transparent und schnell festgestellt werden kann, ob sie als Angestellte oder Selbstständige tätig sind. In diesem Zusammenhang sollten digitale Plattformen dazu aufgerufen werden, ihren Teil der Verantwortung in Bezug auf den Sozialversicherungsschutz und die Arbeitsbedingungen zu übernehmen.

Vor diesem Hintergrund ist die Temporärarbeit eine etablierte Arbeitsform, die Flexibilität und Sozialversicherungsschutz miteinander verbindet. Rund 400'000 Personen arbeiten jedes Jahr in der Schweiz als Temporärangestellte. Diese Arbeitsform wird durch das AVG und die AVV sowie durch den GAV Personalverleih (GAV PV) geregelt.

Verschiedene führende Plattformen nutzen die Temporärarbeit bereits als Lösung. Diese Plattformen agieren als Personalverleiher im Sinne des AVG und übernehmen somit als gesetzliche Arbeitgebende die Verantwortung für die Entlohnung, die Verwaltung und den Sozialversicherungsschutz der Arbeitnehmenden. Temporärarbeitende geniessen somit im Vergleich zu Selbstständigen einen hohen Schutz, da sie dem Arbeits- und Sozialversicherungsrecht unterliegen und auf innovative sowie massgeschneiderte Lösungen im Bereich der sozialen Sicherheit und der Weiterbildung zurückgreifen können.

EU-Richtlinien

Der Rat der Europäischen Union hat kürzlich neue Regeln zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Plattformarbeitenden verabschiedet. Durch diese Richtlinie soll die Verwendung von Algorithmen im Personalmanagement transparenter gemacht und zudem sichergestellt werden, dass automatisierte Systeme von qualifiziertem Personal überwacht werden.

Durch die neuen Regeln wird eine gesetzliche Vermutung für ein Arbeitsverhältnis aufgestellt, die ausgelöst wird, wenn bestimmte Tatsachen vorliegen. Die Kriterien, die zur Feststellung dieser Vermutung herangezogen werden, umfassen die Obergrenzen für die Vergütung, die Beschäftigte erhalten können, die Überwachung ihrer Arbeitsleistung, die Kontrolle über die Verteilung oder die Zuweisung von Aufgaben, die Kontrolle über die Arbeitsbedingungen und Beschränkungen bei der Wahl der Arbeitszeiten.

Diese Massnahmen zielen darauf ab, falsche Einstufungen von Plattformarbeitenden zu verhindern und sicherzustellen, dass sie in den Genuss der Rechte von Arbeitnehmenden kommen, wenn sie die festgelegten Kriterien erfüllen.

Schlussfolgerung

Die Plattformarbeit stellt eine bedeutende Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt dar, die sowohl Chancen als auch Herausforderungen mit sich bringt. Der aktuelle Rechtsrahmen in der Schweiz könnte angepasst werden, insbesondere durch eine teilweise Übernahme der Kriterien, die zur Definition des Status von Plattformarbeitenden festgelegt wurden, um einen angemessenen Schutz der Beschäftigten zu gewährleisten und gleichzeitig sicherzustellen, dass die Plattformen erfolgreich agieren können. Durch die Klärung des Status der Beschäftigten, die Stärkung des Sozialversicherungsschutzes und eine Rechenschaftspflicht der Plattformen kann ein gerechteres und nachhaltigeres Arbeitsumfeld für alle geschaffen werden.

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