Alexa, die Grosse

HR Today


Die Digitalisierung
wird Wirtschaft und Gesellschaft im 21. Jahrhundert ähnlich heftig revolutionieren, wie es die Industrialisierung im 19. Jahrhundert getan hat. Welche neuen Strukturen und Kulturen, welche Chancen und Herausforderungen entstehen daraus? Mit „Total Digital" haben swissstaffing und das Gottlieb Duttweiler Institut für das swissstaffing-Jubiläumsjahr Szenarien erarbeitet wie die Digitalisierung unsere Arbeitswelt umkrempelt.

Hierarchie ist out im digitalen Zeitalter, Schwarm ist in. Aber so ganz ohne eine vorgegebene Richtung kann es einem Schwarm schon mal passieren, dass er orientierungslos umherirrt. Wie ein Schwarm-Leadership aussehen kann.

Nicht alle Schwärme sind gleich. Das gilt in der biologischen Welt genauso wie in der digitalen. Fisch- oder Heuschreckenschwärme sind so lange relativ orientierungslos, bis irgendwo Futter auftaucht, und stossen dann geballt auf das Ziel zu. Vogelschwärme hingegen haben ein vorgegebenes, oft weit entferntes Ziel, und legen im Verbund weite Strecken zurück. Und Bienenschwärme agieren scheinbar planvoll und koordiniert, auch wenn das einzelne Tier keinen Überblick über die Gesamtsituation hat.

Für jedes dieser Schwarmverhalten gibt es Entsprechungen in der digitalen Welt. Bei einem Shitstorm in sozialen Medien beispielsweise kann man sich schnell vorkommen wie in einer Heuschreckenplage, Parteiaktivisten haben in ihrem Kommunikationsverhalten ähnlich wie Zugvögel ein Ziel vor Augen, nämlich ein möglichst gutes Abschneiden bei der nächsten Wahl, und arbeiten auch ohne Direktiven der Zentrale mit ihren Mitteln darauf hin.

Zukunft der Arbeit: Alexa, die Grosse

Die Bienenkönigin im kreativen Schwarm

Die produktivsten Schwärme der Digisphäre aber verhalten sich ähnlich wie ein Bienenschwarm, meint Peter Gloor, Forscher am Center of Collective Intelligence des MIT: „Genau wie bei den Ameisen oder Bienen ist auch ein Schwarm von Menschen in der Lage, erstaunliche Dinge zu leisten. Und genau wie ein Schwarm von Ameisen oder Bienen braucht auch ein menschlicher Schwarm eine Bienenkönigin – jemanden wie Steve Jobs, Larry Page, Mark Zuckerberg oder Elon Musk."

Diese Struktur fand Gloor auch bei Projekten, die ganz anders arbeiten als ein Unternehmen, nämlich rein auf Basis von Kollaboration: Ich ging davon aus, dass Gemeinschaften wie die der Open-Source-Entwickler von Linux oder die der Wikipedia-Bearbeiter aus Menschen bestünden, die jeweils etwa das Gleiche beitragen. Aber was ich vorfand, war das genaue Gegenteil. Es stehen starke Führer an der Spitze, Jimmy Wales bei Wikipedia und Linus Torvalds bei Linux, deren Wort auch immer noch ein hohes Gewicht hat.

«Aus kommandierenden Generälen werden kommunizierende Bienenköniginnen.» Peter Gloor, Peter Gloor, Forscher am Center of Collective Intelligence des MIT

Dieses Gewicht wiederum beruht nicht in erster Linie auf dem einmaligen Gründungsakt, als vielmehr auf den tatsächlich erbrachten Leistungen: „Leadership basiert hier auf Ratings, nicht auf Rankings; es basiert auf Meritokratie, nicht auf Hierarchie." Und je mehr die Digitalisierung auf die Strukturen traditioneller Unternehmen einwirkt, desto mehr wird auch dort das meritokratische Element in den Vordergrund treten – aus kommandierenden Generälen werden kommunizierende Bienenköniginnen.

Smart Assistants: Alexa die Grosse

Digitale Assistenten werden schon bald einen grossen Teil der bisher vom Menschen getroffenen Entscheidungen übernehmen – oder zumindest vorbereiten. Wie das die Kräfteverhältnisse auf Waren- und Arbeitsmärkten verändert.

Eigentlich bietet das Internet die Verheissung unendlicher Fülle. Während im analogen Supermarkt um die Ecke der Platz in den Regalen das Angebot begrenzt, ist im digitalen Supermarkt hinter dem Bildschirm theoretisch jedes Produkt der Welt zu haben. Und praktisch sind Anbieter wie Amazon oder Alibaba dieser Unendlichkeit ziemlich nahe gekommen.

Da kommt es ein bisschen überraschend, dass diese Fülle in einem immer wichtiger werdenden Bereich der Digitalsphäre wieder durch einen Flaschenhals gepresst wird – nämlich in der Kommunikation mit dem digitalen Assistenten. Denn eine Amazons Alexa macht zwar den Eindruck, dass sie das ganze Netz zur Verfügung hat; in der Praxis jedoch greift das Gerät auf die Informationen zurück, die es von Dritten bekommt. Die Zugfahrpläne beispielsweise hat kein Amazon-Mitarbeiter einprogrammiert, sie kommen von den Anbietern selbst, die sie Alexa als sogenannten „Skill" zukommen lassen. Wenn von der SBB kein Skill kommt, gibt es eben bei Alexa keine aktuellen Zuginformationen.

Das scheint ein reines Übergangsphänomen zu sein: Irgendwann hat jeder Anbieter sein Angebot auf den Assistenten hochgeladen. Es handelt sich aber um eine grundlegende Veränderung im Verhältnis zwischen Anbietern und Nachfragern. Denn der Nachfrager ist nicht mehr ein Mensch, sondern eine Maschine. Und wenn diese Maschine, wie es häufig vorkommt, ihrem Menschen das jeweils am besten passende Angebot vorschlagen soll, dann wird es sich um dasjenige Angebot handeln, das die Maschine für das beste hält.

Eine mögliche Konsequenz: All die bunten, schillernden Markenwelten, die für den menschlichen Kunden aufgebaut wurden, werden zurückgestutzt auf eine nüchternere Preis-Leistungs-Welt – aus B2C, Business to Customer, wird B2T, Business to Things.

Eine andere mögliche Variante: Die SEO-Spezialisten, die bislang dafür gesorgt haben, dass man bei der Suchmaschine Google ganz oben landet, werden auf DAO umgeschult – Digital Assistant Optimization. Und wenn es schafft, bei Alexa das Top-Produkt zu werden, kann die traditionelle Markenwelt weiter aufrechterhalten und ausgebaut werden. Wenn auch nur so lange, wie die Menschen noch die eigentliche Kaufentscheidung treffen – was morgen schon vorbei sein kann.

Autor: Detlef Gürtler, Senior Researcher am GDI für swissstaffing

Weitere Zukunftstexte unter : www.die-temporaerarbeit.ch/Zukunft

Das könnte Sie auch interessieren…